Gesetzliche Gewinn-Reserve

Hoi zäme
Frage zu OR 672 Gesetzliche Gewinnreserve bzw. OR 673 freiwillige Gewinnreserven

Ausgangslage per 31.12.2022
Aktiengesellschaft (1-Mann AG bzw. Immobiliengesellschaft), Bilanzsumme CHF 1’300’000.-, Umsatz/Mieteinnahmen CHF 29’000.-p.a.
Jahresgewinn 2022 CHF +34.70
Einbezahltes Aktienkapital CHF 300’000.-
Allgemeine Reserven CHF 70’000.-
Gewinnvortrag CHF 170’000.- (=freie Reserven??)
Keine Dividende

Ausgangslage per 31.12.2023
Aktiengesellschaft (1-Mann AG bzw. Immobiliengesellschaft), Bilanzsumme CHF 1’300’000.-, Umsatz/Mieteinnahmen CHF 29’000.-p.a.
Jahresverlust 2023 CHF -15’000.-
Einbezahltes Aktienkapital CHF 300’000.-
Keine Dividende
???Reserven???
Allgemeine Reserven (nach altem Aktienrecht)???
Gesetzliche Gewinnreserven (nach neuem Aktienrecht)???
Gewinnvortrag (oder „freie Reserven“?)???

  1. Was passiert wann mit den Reserven nach altem Aktienrecht („Allgemeine Reserven“ siehe OR Auszug unten) beim Übergang zu neuem Recht (OR 672 „Gesetzliche Gewinnreserven“/OR 673 „Freiwillige Gewinnreserven“)?

  2. Hat die Gewinnverteilung aus Geschäftsjahr 2022 (CHF 34.70) im Mai 2023 nach der GV nach altem oder nach neuem Aktienrecht statt zu finden? Ist die Gewinnverteilung nach neu zu machen, da sie im Geschäftsjahr 2023 beschlossen wird (basierend auf GJ 2022 Ergebnis) oder findet die Anwendung des neuen Aktienrechts erst auf GJ / Jahresabschluss 2023 dh. im Frühjar 2024 Anwendung?

  3. Wäre bei einer so kleinen Summe (CHF 34.70) im Frühjahr 2023 auch eine Reservenzuweisung von 5% (CHF 1.70) zu machen gewesen? Falls ja, in welches Reserve-Konto: Allgemeine Reserve nach altem Aktienrecht oder Gesetzliche Gewinnreserve nach neuem Aktienrecht? Oder hätte man die CHF 34.70 einfach in den Gewinnvortrag buchen können und keine Reservenzuweisung machen, da einfach zu klein? Es wurde keine Dividende bezahlt.

  4. Wird aus den CHF 70’000 allgemeine Rerserve (nach altem Aktienrecht) automatisch „Gesetzliche Gewinnreserve“ nach neuem Recht? Falls ja, in welchem Umfang? Bis zum Betrag von 50% des Aktienkapitals (CHF 300’000 x50%=CHF 150’000) wären ja nach altem Recht solche Reserven auch nicht frei verfügbar gewesen.

  5. Was geschieht mit dem Gewinnvortrag CHF 170’000 im 2023? Sind oder bleiben das frei verfügbare Mittel oder freie Reserven? Könnten diese als Dividende ausgeschüttet werden? Was spricht dagegen, grad in der GV/Gewinnverwendung 2023 CHF 80’000.- vom Gewinnvortrag von CHF 170’000.- und die CHF 70’000 der allgemeinen Reserve (altes AK-Recht) einfach in die Gesetzliche Gewinnreserve (neues AK-Recht) umzubuchen und somit das Thema „Resrevenzuweisung“ bis auf weiteres „erledigt“ zu haben (50% von CHF 300’000 = 150’000; dh. CHF 70’000 aus allgemeine Reserve + CHF 80’000 Umbuchung aus Gewinnvortrag)?
    Besten Dank schon mal für Euren Input - bin gespannt!
    MfG
    Pat

  6. Altes Aktienrecht:
    Art. 671

  1. 5 Prozent des Jahresgewinnes sind der allgemeinen Reserve zuzuwei-
    sen, bis diese 20 Prozent des einbezahlten Aktienkapitals erreicht.
  2. Dieser Reserve sind, auch nachdem sie die gesetzliche Höhe erreicht
    hat, zuzuweisen:
  1. ein bei der Ausgabe von Aktien nach Deckung der Ausgabe-
    kosten über den Nennwert hinaus erzielter Mehrerlös, soweit
    er nicht zu Abschreibungen oder zu Wohlfahrtszwecken ver-
    wendet wird;
  2. was von den geleisteten Einzahlungen auf ausgefallene Aktien
    übrig bleibt, nachdem ein allfälliger Mindererlös aus den dafür
    ausgegebenen Aktien gedeckt worden ist;
  3. 10 Prozent der Beträge, die nach Bezahlung einer Dividende
    von 5 Prozent als Gewinnanteil ausgerichtet werden.
  1. Die allgemeine Reserve darf, soweit sie die Hälfte des Aktienkapitals
    nicht übersteigt, nur zur Deckung von Verlusten oder für Massnahmen
    verwendet werden, die geeignet sind, in Zeiten schlechten Geschäfts-
    ganges das Unternehmen durchzuhalten, der Arbeitslosigkeit entge-
    genzuwirken oder ihre Folgen zu mildern.
    4 Die Bestimmungen in Absatz 2 Ziff

Sali Pat

Es wird die steuerrechtliche und handelsrechtliche Sichtweise unterschieden.

Handelsrechtlich wurde gemäss altem Recht z.B. auch ein Aufpreis auf ausgegebene Aktien (Agio) den „allgemeinen Reserven“ zugewiesen (vgl. ALTES OR Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1). Diese Sichtweise ist aufgrund steuerlicher Systematik veraltet.

Steuerrechtlich gilt das sogenannte Kapitaleinlageprinzip.
Das einbezahlte Kapital (Aktienkapital / Kapitaleinlagen / Agio) darf unter Bedingungen steuerneutral wieder an die Aktionäre zurückbezahlt bzw. ausgeschüttet werden.
Ausschüttungen auf Gewinnreserven (gesetzliche & freiwillige Gewinnreserven / Gewinnvortrag) sind immer steuerbar.

In den Steuererklärungen von juristischen Personen siehst Du folgende Aufstellung beim Eigenkapital, wo die steuerliche Behandlung deklariert wird (Beispiel ZH):
image

Ich würde Dir empfehlen, auch handelsrechtlich diese Aufteilung vorzunehmen.

Zu Deinen Fragen:

  1. Es ist relevant, woher die „allgemeinen Reserven“ stammen.
    (Gesetzliche) Kapitalreserven müssen steuerrechltich schon länger auf einem gesonderten Konto ausgewiesen werden und der ESTV gemeldet sein, um steuerneutral ausgeschüttet werden zu dürfen.
    Ich gehe davon aus, dass es sich bei den Reserven von CHF 70’000 um gesetzliche Zuweisungen von Gewinnreserven handelt: Zuweisung 5% auf Jahresgewinnen bis 20% vom AK und 10% auf Ausschüttungen von Superdividenden (> 5% vom AK) bis 50% vom AK erreicht sind.
    Sowohl nach altem wie auch nach neuem Recht sind handelsrechtlich 50% als allgemeine / gesetzliche Reserven vorgesehen, nur die Bedingungen zur Bildung haben geändert (Limite für Jahresgewinn und Wegfall der Superdividende).
    Es fehlen hier Angaben über die genaue Aufteilung der „allgemeinen“ Reserven.
    Als Massgabe würde ich die Steuererklärung 2021 bzw. 2022 beiziehen. Dort wird die deklarierte Aufteilung der Reserven ersichtlich sein.

  2. Die Gewinnverwendung 2022 kann nach altem Aktienrecht erfolgen. Das Gesetz trat per 1.1.23 in Kraft, die Gewinnverteilung gilt per 31.12.2022.
    Ich könnte mir vorstellen, dass ansonsten ein Wahlrecht besteht.

  3. Falls die gesetzlichen Gewinnreserven (u.a. gemäss Steuererklärung 2021) mehr als CHF 60’000 (20% vom AK) betrugen, wäre keine Zuweisung nötig gewesen, andernfalls schon. Dividende wurde ja keine ausgeschüttet.
    Die 1.70 sind jedoch unwesentlich.

  4. Für die Aufteilung der Reserven verweise ich auf Punkt 1 und würde als Massgabe die Steuererklärung 2022 beiziehen.
    Die Reservenzuweisung erfolgt aus dem Jahresgewinn.
    Nach neuem Recht sind 5% des Jahresgewinns den gesetzlichen Reserven zuzuweisen, bis diese 50% des AKs (d.h. 150’000) erreicht haben.
    Im 2023 gab es einen Verlust, somit keine Zuweisung nötig.

  5. Der Gewinnvortrag und die freiwilligen Gewinnreserven sind grundsätzlich frei auflös- und ausschüttbar - statutarische Einschränkungen vorbehalten.
    Wegen dem Verlust beträgt der Bilanzgewinn 2023 jedoch nur CHF 155’000.- (170 - 15).
    Eine Zuweisung von CHF 80’000 an die gesetzlichen Reserven hätte zur Folge, dass dieser Betrag bis auf Weiteres unausschüttbar wird und sozusagen „blockiert“ ist.
    Ob die Reserven in den gesetzlichen, freiwilligen oder freien Reserven (Gewinnvortrag) stecken, ist im Grunde genommen egal. Bei letzteren beiden ist aber die Option einer künftigen Ausschüttung gegeben.

Ich hoffe, Dir damit weitergeholfen zu haben.

LG jd

Herzlichen Dank JD für Deine ausführliche Antwort!!!
Das ist mega toll von Dir, dass Du Dir so viel Zeit genommen hast!
Danke!
LG Pat